Die Stadt Zürich finanziert die "Made in Zürich Initiative" massgeblich mit Steuergeldern

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NZZ vom 17. Juni 2019 Zürich setzt sich für hippe Firmen ein, die Pilze auf Kaffeesatz züchten – der Gewerbeverband ist wütend

Die Stadt Zürich hat einen Verein zur Stärkung der urbanen Produktionsfirmen gegründet und sitzt auch gleich noch in dessen Vorstand. Der bürgerliche Gewerbeverband fühlt sich übergangen und will sich wehren.

Auf einem riesigen Tisch liegt eine weisse Plastikplane, die ein Arbeiter zurechtschneidet, aus einer Zuriga-Maschine rinnt Espresso in zwei Tässchen, und ein Automat füllt schäumendes Turbinenbräu in braune Flaschen ab. Eine gute Minute dauert der professionell gemachte Image-Film über den Werkplatz Zürich, der auch mit Botschaften aufwartet wie dieser: «Zürich hat mehr Kapital als nur Kapital.»

Zu finden ist der Film auf der Website der «Made-in-Zürich-Initiative», die das lokale Schaffen sichtbarer machen soll. Allein das Lesen der Mitgliederliste müsste dem urbanen Öko-Hipster Freudentränen in die Augen treiben. Da gibt es Kleinstbetriebe, die auf Kaffeesatz Pilze züchten oder Gemüseabos für «Retter*innen» im Kampf gegen Food-Waste feilbieten. Sogar das Vereinslogo mit dem stilisierten Origamilöwen ist schlicht cool.

Das Ganze wirkt wie ein Gegenentwurf zum städtischen Gewerbeverband, der auf seiner etwas angestaubten Website gegen den drohenden Parkplatzabbau wettert und auf den gemütlichen Grillplausch in der Hasenrainhütte hinweist, den der Vorstand im September abhalten wird. Beim Gewerbeverband ist man «not amused» über die neue Konkurrenz. Aber nicht etwa, weil man beleidigt wäre, dass hier jemand neue Ideen hat. Vielmehr ist dem bürgerlich geprägten Verband etwas ganz anderes ein Dorn im Auge: das Engagement der Stadt.

Gewerbeverband: Es geht auch billiger

Denn es ist nicht etwa so, dass das Gewerbe den Verein aus eigener Kraft auf die Beine gestellt hätte. Er wurde und wird finanziell und personell von der Stadt unterstützt. Nach Aussagen der Stadt kam der Anstoss zum Projekt von den Firmen Freitag Lab AG und Senn Resources AG, die im April 2017 mit der Idee an die Stadt herangetreten seien, ein Label für das produzierende Gewerbe in Zürich zu kreieren. Vorbild war dabei ein Projekt aus San Francisco.

Nach einigen Gesprächen entschied sich die Stadt gemeinsam mit den beiden Firmen, im Juni 2018 einen Verein zu gründen, der dann im November offiziell lanciert wurde. An den Kosten unter anderem für die Website und den Image-Film beteiligte sich die Stadt mit 15 000 Franken. Als «Anschubfinanzierung» wird die Stadt bis ins Jahr 2022 weitere 190 000 Franken in den Verein stecken. Im siebenköpfigen Vorstand sitzen zudem zwei Personen aus dem Bereich Stadtentwicklung, der im Departement von Stadtpräsidentin Corine Mauch (sp.) angesiedelt ist.

Der Gewerbeverband ist über das Vorgehen der Stadt irritiert: «Wir fühlen uns total vor den Kopf gestossen», sagt die Präsidentin und CVP-Politikerin Nicole Barandun. Sie hätte erwartet, dass die Stadt für die Entwicklung eines derartigen Projekts auch auf den Gewerbeverband zugehe und dessen Kompetenz und Kontakte nutze. «Unsere Leistungen werden aber offenbar nicht anerkannt und unser Know-how nicht geschätzt.» Vor allem störe sie sich massiv daran, dass so viel öffentliches Geld in das Projekt fliesse.

Mit der Einbindung des Gewerbeverbands hätte sich aus Baranduns Sicht eine schlankere Lösung realisieren lassen ohne Anschubfinanzierung der Stadt. Schliesslich gehören dem Verband rund 3000 Unternehmen mit 20 000 Mitarbeitern in der Stadt Zürich an. Er ist also durchaus schlagkräftig. Und er erhält von der Stadt weder Geld noch Vergünstigungen.

Die hohe finanzielle Beteiligung der öffentlichen Hand sei auch deshalb stossend, sagt Barandun, weil nicht nur Kleinstproduzenten der «Made-in-Zürich-Initiative» angehörten, sondern mittlerweile auch Grosskonzerne wie SBB, UBS oder MAN.

Barandun sagt, dass sie die Lancierung des Labels durchaus gut und gelungen findet. «Und es spricht auch nichts dagegen, dass die Stadt bei einem solchen Projekt beratend zur Seite steht.» Dass aber zwei städtische Angestellte dem Vorstand angehörten, sei befremdlich. «Es ist doch keine staatliche Aufgabe, sich in einem Gewerbeverein zu engagieren.»

Stadt wehrt sich

Der Ärger des Gewerbeverbands löst bei der Stadt Unverständnis aus. «Es ist eigentlich absurd, wir machen mit dem Projekt ja aktiv etwas für das Gewerbe», sagt Anna Schindler. Sie ist Direktorin der Stadtentwicklung Zürich, hat die «Made-in-Zürich-Initiative» mitgegründet und gehört dem Vereinsvorstand an. Das Projekt sei Teil des städtischen Strategieschwerpunkts zum Zürcher Werkplatz. «Wir wollen diesen besser positionieren und die urbane Produktion sichtbarer machen. Das ist ein zentrales Anliegen der Stadt und der Wirtschaftsförderung.»

Es sei eine glückliche Fügung gewesen, dass der Anstoss zum Projekt von zwei privaten Firmen gekommen sei. Den Vorstand des Gewerbeverbands habe man aber bereits einige Monate vor der Lancierung über die Pläne informiert.

Damit sich die Firmen zusammenschliessen konnten, sei eine Anschubfinanzierung nötig gewesen. Denn dem Verein gehörten vor allem viele kleine Unternehmen an, die nicht so finanzkräftig seien. Das Ziel sei es aber, dass sich der Verein ab 2023 selbst trage. Er wächst rasch und zählt bereits 65 Mitglieder, für die ein Jahresbeitrag von 300 Franken fällig wird.

Aus Schindlers Sicht spricht auch überhaupt nichts dagegen, dass sich die Stadt im Vorstand einbringt. Es handle sich hier ja nicht um einen Gewerbeverein, sondern um ein konkretes Projekt, an dem alle Gewerbetreibenden teilhaben könnten. «Es ist eine klassische Public-private-Partnership.» Überdies sei das Engagement auch nichts Ungewöhnliches, «Vertreter der Stadt sitzen in anderen Vereinen».

Beim Gewerbeverband will man die Sache so nicht hinnehmen. Vorstandsmitglied und FDP-Gemeinderätin Elisabeth Schoch hatte zum Thema eine Interpellation eingereicht, deren Fragen der Stadtrat vor wenigen Tagen beantwortete. Mit den Antworten sei sie aber noch nicht zufrieden, sagt Schoch, «wir werden wahrscheinlich mit einem zweiten Vorstoss nachdoppeln».

Dabei geht es auch um ein grundsätzliches Unbehagen. «Die Stadt übernimmt immer mehr Aufgaben, die auch Private leisten können», sagt Schoch. So beklagten sich Betreiber von privat-gemeinnützigen Altersheimen über mangelnde Wertschätzung und schlechte Zusammenarbeit mit der Stadt, und vor einigen Monaten begehrten auch die Quartiervereine auf, nachdem die Stadtverwaltung mitgeteilt hatte, ihre Schnittstelle zu den Quartieren überprüfen zu wollen.