Nicht alle haben eine Wahl

Kolumne

Im letzten halben Jahr hat der Gewerbeverband der Stadt Zürich zusammen mit anderen Organisationen die Rampenaktion der Behindertenkonferenz Kanton Zürich unterstützt.

Dabei wurden Läden und Restaurants ermuntert, mobile Rampen anzuschaffen, damit Menschen mit Behinderung selbständig Zutritt zu ihren Lokalitäten haben.

Weisse Linien als Verbindung – nicht als Abgrenzung

Eine wichtige Sache, da sind sich alle einig. Leider ist dieser Grundsatz der Inklusion noch nicht im Alltag aller verankert. Wie anders ist es zu erklären, dass in der Stadt Zürich, in der gefühlt alles jung und trendy ist und die Mobilität per Velo gehypt wird, Trotti und vermehrt Velos auch im Bereich der weissen, auf dem Trottoirboden angebrachten Leitlinien achtlos abgestellt werden? Diese Linien dienen Menschen mit Sehbeeinträchtigung zur Orientierung. Werden sie verstellt, bedeutet das Unfallgefahr und Verlust der Bewegungsfreiheit. Dass sie in der Europaallee aus «ästhetischen Gründen» fehlen und nur durch eine erhabene Linie im Bodenbelag ersetzt wurden, verstärkt das Problem, wie sie viele nicht als Leitlinien erkennen (wollen) und sie noch weniger respektiert werden als die gut sichtbaren weissen Linien. Da muss die Stadt konsequenter vorgehen. Es bringt nichts, die Leute mit Niederflurtrams in die Innenstadt zu fahren und sie dann an der Haltestelle stehen zu lassen.

Autofreies Wohnen – ein Trugschluss

Apropos Velo: Geht es nach Rot-Grün, liesse sich in der Stadt der nahen Wege ja alles per Velo erledigen – nachhaltig. Geshoppt wird aber immer mehr online, kein Halten an Singles' Day, Black Friday, Cyber Monday und wie sie alle heissen. Dann wundert man sich, dass autofreies Wohnen auch Verkehr verursacht, und regt sich auf, wenn der Lieferwagen mangels Umschlagplätzen den Weg versperrt. Im besten Fall bringt er koordiniert mehrere Päckli auf einmal, im schlechtesten den bestellten Lippenstift allein. Nachhaltig?

Eine Stadt der nahen Wege ist auch für Menschen mit Beeinträchtigung und Betagte, deren Bewegungsradius eingeschränkt ist, ideal. Wenn aber der Quartierladen ums Überleben kämpft, die nette Boutique um die Ecke und das Fachgeschäft mangels Kundschaft schliessen müssen, führen kurze Wege für alle ins Leere.

Nicole Barandun-Gross

Präsidentin Gewerbeverband der Stadt Zürich