Sonderzug nach Konstanz

Kolumne

Vor zwei Wochen fiel die Euro-Untergrenze. Seither schiessen die Wirtschaftsexperten wie Pilze aus dem Boden. Unser Land, das vor dem 14. Januar vor allem über die Zuwanderung debattierte, hat plötzlich ganz andere Sorgen.

Die Rezepte gegen den starken Franken, die Arbeitslosigkeit und Deflation sind verschieden, je nachdem aus welcher Ecke sie kommen: Tiefere Löhne, höhere Löhne, längere Arbeitszeiten und kürzere. Einige Ratschläge erinnern an Zeitungsartikel über Griechenland.

So weit ist es dann doch nicht. Die Lage ist ernst, aber nicht aussichtslos. Was zu tun ist, weiss niemand genau, aber was nicht zu tun ist, kann man erahnen. Sicherlich ist die Wirtschaft nicht weiter zu belasten, sowohl steuerlich als auch bürokratisch. Die Wirtschaft hat jetzt viel Wichtigeres zu tun, als Formulare auszufüllen und verwaltungsperfektionistische Purzelbäume zu schlagen. Immerhin bringt der Euroschock einiges in Bewegung. Längst verloren geglaubte Themen sind wieder salonfähig: günstige Rahmenbedingungen, Verkehrsfluss, Parallelimporte, Preissenkungen, eine schlanke Verwaltung und Flexiblität im Arbeitsmarkt.

Schnäppchenjäger sollen mal tief durchatmen

Nach dem Euro-Sturz setzte die SBB Sonderzüge ein, um die Schweizer Einkaufstouristen nach Konstanz zu bringen. Meine Kollegin, die bei einer Bank arbeitet, erzählte mir, dass sich die Kunden vor dem Schalter balgten, wenn der Eurokurs sich um ein paar Rappen nach unten bewegt. Hysterie total. Es stimmt: Konstanz ist günstig. 40'000 Schweizer Kunden zählt man an einem normalen Samstag. Wer mit dem Zug geht, zahlt 64 Franken ohne Halbtax. Wer mit dem Auto geht, steht ab der Schweizer Grenze im Stau, wartet ewig auf einen Parkplatz und zahlt dann neben dem Benzin 10 Euro für das Parkhaus. Trotzdem: Bei einem Kurs von 1:1 rechnen die Geschäfte mit zusätzlichen 5'000 bis 10'000 BilligShoppern – pro Samstag. In Konstanz hört man mehr Schweizerdeutsch als in Zürich.

Hochpreisinsel und Hochlohninsel

Ganz unschuldig ist unser Detailhandel nicht. Konsumenten beklagen schon länger, dass sie teilweise mit zu hohen Margen abgezockt werden, und zwar nicht in Bereichen, wo gute Beratung das Produkt zu recht verteuert. Warum kosten zum Beispiel Zeitungen und Illustrierte 30% bis 50% mehr als in Deutschland? Der Handel hat einerseits profitiert und sich andererseits zu wenig für tiefere Preise engagiert. Es ging auch so. Seit dem 14. Januar haben wir aber eine neue Zeitrechnung. Wir empfehlen den Einkauf in der Schweiz. Zum Shoppen mag Konstanz Spass machen, aber dort Arbeit suchen möchte man lieber nicht.

Nicole Barandun-Gross
Präsidentin Gewerbeverband der Stadt Zürich