Berufsverbände wollen auch einen Böögg!

Kolumne

Die Zürcher Zünfte haben den 1902 Böögg erfunden. Er hat uns in seinen 114 Jahren viele Dramen beschert. 1921 wurde er vorzeitig von einem Buben angezündet, 2006 wurde er gestohlen und dazwischen ist er 5x gekippt, ohne dass der Kopf explodiert war. Die Zünfter leiden immer zünftig mit, aber die Böögg-Geschichten sind harmlos im Vergleich zur Geschichte der Zünfte.

Vor rund 1000 Jahren begannen sich die Handwerker in ganz Europa in Korporationen zusammen zu schliessen. Sie wollten ihre Interessen in die Politik einbringen und je länger je mehr auch selber politische Macht erlangen. Das war natürlich lästig in den Augen der Edelleute, die damals allein im Rat sassen. Also hat man die Gwerbler unterdrückt und die Zünfte verboten. Doch die Bewegung war nicht aufzuhalten. 1336 stürmte der Ritter Rudolf Brun (ja, der von der Brücke!) zusammen mit Handwerkern und Krämern das Zürcher Rathaus. Die Ratsherren konnten ihr Leben nur durch Flucht retten, ihr Eigentum wurde beschlagnahmt. Ab dann sassen die Vertreter der 13 Zünfte in der Regierung und prägten über 450 Jahre lang die Politik. 1798 kam Napoleon und machte der Politik der Gewerbler ein Ende. Heute organisieren die Zünfte das Sechseläuten und haben sich aus der Politik zurückgezogen.

Ihre Erben sind die Berufsverbände. Fast alle unsere Gewerbetreibenden sind in Berufsverbänden organisiert. Sie verhandeln mit den Gewerkschaften die Gesamtarbeitsverträge und tragen die Verantwortung für die Berufsbildung. Nicht staatliche Schulen, sondern die Berufsverbände übernehmen die Ausbildung unserer Jugendlichen und zukünftigen Fachleute. Sie sorgen auch dafür, dass ihr Spengler, Elektriker oder IT-Spezialist immer auf dem neuesten Stand der Technik ist. Eigentlich müsste man für sie auch ein Mal ein Fest organisieren und sie zünftig feiern. Sie hätten ebenso wie die Zünfte einen sonnigen Tag verdient!

Nicole Barandun-Gross
Präsidentin Gewerbeverband der Stadt Zürich