Zürich ist schön nach Vorschrift

Kolumne

Der Frühling beschert uns wieder eine wunderschöne Stadt. Mit dem Alpenblick und dem See ist Zürich eigentlich unschlagbar. Schön, sauber, gestylt. Aber trotz Gay Pride und Manifesta nicht unbedingt cool.

Irgendwie kommen wir immer noch etwas zwinglianisch verklemmt rüber. Aber warum eigentlich? Kürzlich las ich in der NZZ einen erheiternden Artikel über unsere lustfeindlichen Pärke. Journalist Florian Schoop beschreibt darin den Pfingstweidpark als «Fertigsuppe»: Betonbrunnen, Betontisch, Betonbänke. Andere neuere Parkanlagen kommen nicht besser weg. Sie seien Ausdruck einer bevormundenden Stadtplanung (siehe nzz.ch/meinung/zuerichs-sterile-ungemuetlichkeit-im-garten-der-lustfeinde).

Aber ist wirklich jemand überrascht, dass unsere Pärke genormt sind? Städtische Vielfalt gepaart mit etwas Verruchtheit im Chreis Cheib, die früher Leute aus der ländlichen Spiessigkeit in unser urbanes Zentrum lockten, ist schon lange vorbei. Wir hätten schon aufhorchen sollen, als die genormten Notwasserbrunnen Einzug hielten und so manch schöner Steinbrunnen dem goldenen Designwasserspender weichen musste. Konnte früher noch ein Quartierkind seine Füsse im Brunnen baden – damit ist jetzt Schluss. Dann kamen die Marronihäuschen, die Bootsvermietungshäuschen, Züri-WC, Züri-Velo, Tramhäuschen… wo auch immer gebaut wird, ist alles durchgestylt. Aber eigentlich ist alles Einheitsbrei. Wir Zürcher lassen uns das alles gefallen und sitzen als Gartenbeizbesucher sogar ohne Widerrede innerhalb von weissen Markierungen! Bäume werden nach Alleenkonzept zentimetergenau gepflanzt: «Das Alleenkonzept ist als langfristige Zielvorstellung für die zukünftige städtische Strassenbaumpflanzung zu verstehen.» Hä??? Und selbst auf dem Friedhof wird genormt. Wo kämen wir hin, wenn die Toten machen was sie wollen? «Wenn für das Grabmal ein Material eingesetzt werden soll, das auf der Liste der Materialien für Grabmäler noch nicht enthalten ist, muss dem Gesuch ein Materialmuster beigelegt werden.»

Wen wundert es, dass die Velofahrer die grosse Freiheit beim Überfahren von Rotlichtern empfinden…. oder das wilde Anpflanzen von Malven in Baumrabatten als der Gipfel des urbanen Widerstands gilt! Wir sollten wachsamer werden.

Nicole Barandun-Gross
Präsidentin Gewerbeverband der Stadt Zürich