«High Noon» oder «Wem die Stunde schlägt»

Kolumne

Am «Sächsilüüte» – nein, nicht am Mittag, eben am «Sächsi» – wird mit dem Glockengeläut vom Sankt Peter der Scheiterhaufen auf dem Sechseläutenplatz angezündet, das Augenmerk der ganzen Nation auf Zürich gerichtet: Wie lange würde es dauern, bis es dem Böögg an den Kragen geht? Zürich im Frühlingstaumel mit Umzug, Blumen, historischen Kostümen, Kinderlachen und fröhlichen Gesichtern der Zünfter – und auch deren Frauen.

7 Tage dauern die Auf- und Abbauten für Scheiterhaufen und Umritt total. Im Frühling gehört der Zirkus Knie zum Sechseläutenplatz wie das Amen im Grossmünster. 34 Tage. Gratis die Übertragung einer Opernhausaufführung im Freien geniessen, Oper für alle: 4 Tage. Ein bisschen Glamour verstreut das Zurich Film Festival über den Sechseläutenplatz. 15 Tage. Weihnachtsdorf in stimmungsvoller Kulisse: 35 Tage. Immer mit Auf- und Abbau, macht 95 Tage. Streetparade oder Zürifäscht nicht mitgerechnet.

Oha, gaht nöd! Zumindest, wenn es nach der Volksinitiative «Freier Sechseläutenplatz» geht, über die wir am 10. Juni abstimmen werden. Die extreme Verbots-Initiative fordert eine Beschränkung auf nur noch 65 Tage und bedroht damit beliebte Veranstaltungen in ihrer Existenz. Welche müssten also über die Klinge springen, und wer bestimmt? Der vernünftige Gegenvorschlag des Gemeinderats «Sechseläutenplatz: Vielfalt bewahren» lässt während 180 Tagen im Jahr attraktive Veranstaltungen für die Bevölkerung zu und sorgt für veranstaltungsfreie Zeit. Maximal 45 Veranstaltungstage liegen darum zwischen Juni und September. Dann, wenn alle berechtigterweise einfach den Sommer geniessen wollen, und zwar unter den sicher wieder montierten Sonnenschirmen mit freier Sicht auf den See.

Auch die oberste Kulturchefin, Stadtpräsidentin Corine Mauch, befürwortet den Gegenvorschlag mit ausgewogenerem Verhältnis zwischen Veranstaltungen und freiem Flanieren. Plätze sind seit jeher Begegnungsorte, eingebettet in prosperierende Städte, darum zentral gelegen, für alle nah, traditionell mit Markttreiben, Handel. Und jetzt plötzlich will man das nicht mehr? Plätze sollen heute Leere ausstrahlen? Vielfalt heisst für alle etwas, den einen den Böögg, den anderen den über dem Scheiterhaufen gebratenen Cervelat. Was für eine Wahl!

Nicole Barandun-Gross
Präsidentin Gewerbeverband der Stadt Zürich