Abstand vom Anstand

Kolumne

Es gibt kaum einen Auftritt von US-Präsident Trump, an dem sich sein Mangel an Anstand gegenüber seinen (Gesprächs-) Partnern nicht manifestiert.

Sein Vize steht ihm da in nichts nach. Diese Überheblichkeit steht niemandem gut, schon gar nicht einem vom Volk gewählten Magistraten.

Bescheidenheit, eine seltene Tugend

Aber wir brauchen nicht über den grossen Teich schauen, ein Blick in den Kantonrat tut’s auch. Dort kam es zum Eklat, als Jacqueline Fehr kürzlich die Geschäftsprüfungskommission als eine Gruppe von Besserwissern abkanzelte, weil diese unter anderem Transparenz für ein versandetes Softwareprojekt in immerhin zweistelliger Millionenhöhe verlangte. Genau mein Humor. Da wird Respektlosigkeit kultiviert statt des Bewusstseins, dass man als gewählte Exekutivpolitikerin in der Verantwortung gegenüber der Bevölkerung steht.

Wenn die gute Kinderstube fehlt

Es ist leider Trend, dass heute in der Familie keine Grundkenntnisse in Anstand und gegenseitigem Respekt mehr vermittelt werden. Die Folgen zeigen sich in der Volksschule, wo zuerst das zwischenmenschliche Zusammenleben thematisiert werden muss, bevor überhaupt der Schulstoff nach Lehrplan vermittelt werden kann. Nun wird der integrative Weg in Frage gestellt. Statt das Problem zu hören und neu zu denken, spricht der Gemeinderat immer mehr Mittel für Klassenassistenzen, neu kommen auch Schulsupporter zum Einsatz. Schon mal davon gehört? Ich auch nicht.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

Am Beginn ihrer Berufslehre kennen viele Jugendliche die grundlegenden Verhaltensregeln nicht und sind überfordert. Nachbügeln ist nötig. So bietet der Gewerbeverband der Stadt Zürich Kurse für Auszubildende seiner Mitglieder an: Wie ist man ein Teamplayer im Betrieb? Wie begegnet man im Laden der Kundin? Wie verhält man sich am Telefon, beim Kunden zuhause? Wer weiss, wie auftreten, fühlt sich sicherer im Kontakt mit anderen. Er zeigt und fordert Respekt. Anstand? Allen, die sich über Sergio Ermottis 15-Mio.-Jahressalär ereifern, sei gesagt, dass dies nicht reicht, um das Defizit der Rad-WM 2024 zu decken. Dort sind alle von der Bühne verschwunden und hinterlassen den Steuerzahlenden die Schulden. Auch das hat mit Anstand zu tun. Oder eben nicht.

Nicole Barandun-Gross, Präsidentin Gewerbeverband der Stadt Zürich