Zürich: Stadt der Baustellen – und der verpassten Chancen
In Zürich funkeln bald wieder die Lichter, die Bahnhofstrasse wird zur weihnachtlichen Flaniermeile, Weihnachtsmärkte laden zum Verweilen ein.
Einheimische und Touristen bummeln, bringen Umsatz in die Läden und beleben die Innenstadt. Es könnte eine wirtschaftlich starke Zeit sein. Doch ausgerechnet dann, wenn Zürich glänzen könnte, packt die Stadtverwaltung den Presslufthammer aus: Am Bahnhofquai entsteht pünktlich zur Adventszeit eine Grossbaustelle für die Tramhaltestellensanierung. Bauzeit: ein Jahr. Wer denkt sich so etwas aus?
Timing? Katastrophal.
Natürlich, Bauen und Sanieren ist nötig. Was fehlt, ist Koordination und Augenmass. Da drängt sich der Eindruck auf, dass vieles fixer ginge, wenn man nur wollte. Die Sanierung Bürkliplatz zeigt: Erst nach öffentlicher Kritik kam plötzlich Schwung in die Sache. Nun trifft es die Quartiere Höngg, Grünau und ganz Zürich-Nord: Ab Dezember wird ihre Tramanbindung an die Bahnhofstrasse gekappt. Start ausgerechnet dann, wenn der Detailhandel seine wichtigste Zeit hat.
Glanz? Das war einmal.
Die Bahnhofstrasse gleicht heute einem Flickenteppich aus Baustellen, eingerüsteten Häusern und leeren Ladenlokalen. Selbst der Globus scheint (auf hohem Niveau natürlich) im Dauer-Sale-Modus gefangen. Verkehrsfreiheit soll die neue Heilslehre zu sein. Hauptsache autofrei, egal, ob die Kundschaft noch hinkommt. Kein Wunder, wehrt man sich an der Löwenstrasse dagegen, dass diese zur nächsten «stillen Zone» verkommt. Wer arbeitet, liefert, einkauft, braucht Erreichbarkeit, keine Ideologie.
Weltoffenheit? Schön wär’s.
Pragmatisch zum Schluss: Zürich sollte endlich die Sonntagsöffnungszeiten liberalisieren. Viele wollen einkaufen und viele arbeiten gerne am Sonntag – Studierende, Familien, die auf Zusatzeinkommen angewiesen sind. Nicht zu vergessen: der Sonntagszuschlag. Kann es sein, dass auch jene, welche mit missionarischem Eifer gegen Sonntagsverkäufe kämpfen, am Weihnachtsmarkt auch am Sonntag unter Schalmeienklängen genüsslich einen Glühwein schlürfen? Selbstverständlich serviert von Menschen, die an diesem Tag arbeiten. Doppelmoral mit Zimtduft.
Nicole Barandun, Präsidentin Gewerbeverband der Stadt Zürich
